Brief an den Präsidenten von Tunesien, Kaïs Saïed
Präsident von Tunesien
Kaïs Saïed
Route de la Goulette
Site archéologique de Carthage
Tunesien
Sehr geehrter Präsident Saïed
Ich wende mich an Sie, weil ich angesichts der fortdauernden Inhaftierung des Menschenrechtsverteidigers und Schweizer Bürgers Mustapha Djemali, der gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Abderrazek Krimi inhaftiert wurde, in grosser Sorge bin. Am 7. Mai 2024 wurden die beiden von einem Richter in Tunis wegen «Unterstützung der illegalen Einreise» von Ausländer*innen und «Gewährung von Unterschlupf» in Untersuchungshaft genommen. Die Untersuchungshaft wurde bereits zweimal verlängert.
Die Anklagen beruhen ausschliesslich auf ihrer rechtmässigen Tätigkeit beim tunesischen Flüchtlingsrat («Conseil Tunisien pour les Refugies» - CTR), einer tunesischen NGO, die mit den tunesischen Behörden und dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) bei der Vorregistrierung von Asylsuchenden und der Bereitstellung grundlegender Hilfsleistungen zusammenarbeitete. Die Inhaftierung der beiden Männer ist willkürlich, da die Verteidigung der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen unabhängig von ihrem rechtlichen Status, einschliesslich der Bereitstellung von Unterkünften, nach internationalem Recht keine Straftat darstellt. Gemäss dem von Tunesien ratifizierten UNO-Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und seines Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels darf das Engagement für Geflüchtete und Migrant*innen niemals mit Menschenschmuggel oder Menschenhandel gleichgesetzt werden.
Tunesien ist Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die Geflüchteten das Recht auf Identitäts- und Reisedokumente, Arbeit, Wohnung, Bildung und Unterstützung sowie Schutz vor Sanktionen bei irregulärer Einreise gewährt. Nach der Festnahme von Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi stellte der CTR seine Tätigkeit ein, was zu kritischen Unterbrechungen für Betroffene beim Zugang zu Asylverfahren und grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge, Unterkunft und Kinderschutz führte.
Den beiden Menschenrechtsverteidigern wird auch die Versorgung mit notwendigen Medikamenten verweigert, wodurch ihre Gesundheit gefährdet ist.
Ich bitte Sie eindringlich, dafür zu sorgen, dass die Behörden alle Anklagen gegen Mustapha Djemali und Abderrazek Krimi fallen lassen und sie unverzüglich freilassen. Bis dies umgesetzt ist, fordere ich Sie auf, dafür zu sorgen, dass die Behörden den beiden Männern den fortlaufenden Zugang zu den dringend benötigten Medikamenten ermöglichen. Ich bitte Sie ausserdem, die gezielten Festnahmen von Menschenrechtsverteidiger*innen einzustellen und ihnen zu ermöglichen, in einem sicheren und förderlichen Umfeld ohne Repressalien zu arbeiten.
Hochachtungsvoll,